Die Klinikleiterin der Luxusrehaklinik mit Sitz in Zürich und Einrichtungen unter anderem in Spanien und England geht noch einen Schritt weiter und beobachtet: „Unsere Patienten können keine ganzen Bücher mehr lesen. Glaube ich deswegen, dass jeder Mensch ADHS hat? Nein, absolut nicht. In vielen Fällen sind die ADHS-Symptome ein Bewältigungsmechanismus – eine Entwicklungsstörung, die aus Traumata resultieren kann.“ Dieses Wissen wirft schnell Fragen auf: Wie treffsicher sind aktuelle Diagnosen? Und wie sieht eine wirksame Therapie aus, wenn ein Trauma die wahre Ursache ist?
ADHS – eine Modediagnose?
ADHS scheint heute präsenter denn je – in sozialen Medien, Alltagsgesprächen und auch in ärztlichen Praxen. Die wachsende Aufmerksamkeit hat dazu geführt, dass ADHS für viele zur schnellen Erklärung für innere Unruhe, Konzentrationsprobleme oder emotionale Überforderung geworden ist. Solche Diagnosen werden dabei – entgegen der Empfehlungen von Fachgesellschaften – in rund 90 % der Fälle von Hausärzten und ohne Rücksprache mit Fachärzten für Psychiatrie getroffen. Auch der Einsatz von Medikamenten wächst deutlich. Dazu Boss: „Die medikamentöse Behandlung von ADHS ist keine dauerhafte Lösung. Sie kaschiert lediglich die Symptome, anstatt die Ursache zu bekämpfen.“ Viele Betroffene erhalten eine ADHS-Diagnose, obwohl ihre Symptome auch andere Ursachen haben könnten – etwa chronischen Stress oder unverarbeitete Traumata.
Wie Traumasymptome ADHS „imitieren“
Das liegt u. a. auch an den sich ähnelnden Symptomen von Traumata und ADHS: Schlafstörungen, Konzentrationsschwäche, Reizüberflutung, emotionale Impulsivität und innere Unruhe. Während ADHS auf eine neurobiologische Störung zurückgeführt wird, sind diese Symptome bei Traumata meist Ausdruck eines überaktivierten Nervensystems – eine Reaktion auf frühere Belastungen. „Nach einem Trauma ist es normal, dass der Körper überaktiv und überwach ist und ständig nach möglichen Bedrohungen sucht. Von außen betrachtet kann dies jedoch wie ADHS erscheinen. Deshalb ist es wichtig, das Gesamtbild eines Klienten zu betrachten, bevor man vorschnell eine Diagnose stellt“, so Boss. Viele Ärzte und Therapeuten orientieren sich an Symptombeschreibungen, ohne die Lebensgeschichte der Betroffenen umfassend einzubeziehen. Vor allem in einem überlasteten Gesundheitssystem mit durchschnittlich nur 20 Minuten Zeit pro Patient besteht ein hohes Risiko für Fehldiagnosen. Betroffene erhalten Medikamente oder Verhaltenstherapie, obwohl sie eigentlich traumatherapeutische Unterstützung bräuchten.
Neue Perspektiven aus der Praxis von THE BALANCE
ADHS-ähnliche Symptome können viele Ursachen haben. „Wir haben einmal einen traumatisierten Soldaten behandelt, der mit seiner Sucht und schweren ADHS-Symptomen kämpfte. Wir arbeiteten mit einer Kombination verschiedener Therapien, um das Trauma zu beseitigen, und die Symptome verschwanden. Wäre er nicht zu uns gekommen, hätte er vermutlich sein restliches Leben lang Medikamente genommen, ohne dass die Ursache seiner Symptome behandelt worden wäre“, so Sarah Boss. In einem interdisziplinären Setting prüfen Fachärzte und Therapeuten bei THE BALANCE, ob hinter der vermeintlichen ADHS-Symptomatik ungelöste emotionale Verletzungen stehen. „Dabei greifen wir auf Verfahren wie EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) und somatische Traumatherapie zurück“, so Boss. Gründer und Geschäftsführer von THE BALANCE, Abdullah Boulad, ergänzt: „Vorrangig brauchen wir ein Umdenken im System – die Politik und das Gesundheitssystem müssen dringend neue Strukturen schaffen, die Raum für genaues Hinschauen ermöglichen und letztlich den Trend zu Fehldiagnosen umkehren.“
Mehr Informationen rund um ADHS und deren Behandlungsmöglichkeiten finden Sie unter www.thebalancerehabclinic.de/ADHS.